Naturwissenschaftliche Bildung in Österreich

Leuchtturmprojekte an der Schnittstelle von Bildung und Forschung

Beobachten durch das Mikroskop © Pexels (CC0)

"Dieses Projekt hat mir zum ersten Mal gezeigt, dass auch ich Fähigkeiten habe" - mit diesen begeisterten Worten beschreibt ein Kind einer Neuen Mittelschule in Österreich sein gestiegenes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten dank der Teilnahme an einer der naturwissenschaftlichen Bildungsinitiativen der österreichischen Regierung. Die positiven Auswirkungen auf SchülerInnen aus bildungsfernen Familien sind vielfältig und reichen von Einblicken in wissenschaftliches Arbeiten über die Verbesserung von Fähigkeiten wie kritischem Denken bis hin zur Unterstützung der Jugendlichen bei der Berufswahl. Doch das ist noch nicht alles. In den Köpfen der Kinder und Jugendlichen bleiben vor allem einzigartige Erfahrungen und schöne Erinnerungen an ihre Reise in die Welt der Wissenschaft.

Seit vielen Jahren ist es ein großes Anliegen des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF), Kinder und Jugendliche auf innovative Art und Weise an wissenschaftliche Themen heranzuführen und sie für wissenschaftliches Arbeiten zu begeistern. Obwohl Forschung einen großen Teil des täglichen Lebens beeinflusst, fehlt es oft an diesem Bewusstsein in der Gesellschaft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Österreicherinnen und Österreicher laut der Eurobarometer-Umfrage der Europäischen Kommission von 2013 der Wissenschaft relativ skeptisch gegenüberstehen. Die COVID-19-Pandemie zeigt deutlich, wie wichtig das Vertrauen in die Wissenschaft ist, und auch in der Medienberichterstattung über die Pandemie sind Forscher und Wissenschaftler nicht mehr wegzudenken.

Laut einer Umfrage, die 2020 in Deutschland veröffentlicht wurde, hat das Vertrauen durch Corona zugenommen. Dies ist wahrscheinlich in vielen Ländern der Fall. Um der Wissenschaftsskepsis wirksam entgegenzuwirken, richtet sich die naturwissenschaftliche Bildung in Österreich seit Jahren an die jüngsten Bürgerinnen und Bürger. Das BMBWF verfolgt dabei drei Ziele: (1) den Mehrwert der Wissenschaft aufzuzeigen, (2) den Zugang zu Forschung und Universitäten zu erleichtern und (3) den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern. Es unterstützt daher zahlreiche Initiativen und Programme an der Schnittstelle zwischen Bildung und Forschung. So erhalten Kinder und Jugendliche vielfältige Möglichkeiten, in ihrer Freizeit und in der Schule die Forschung kennen zu lernen und an konkreten Projekten zu arbeiten.

Seit 2004 haben sich die Kinder- und Jugenduniversitäten in Österreich erfolgreich etabliert. Diese Entwicklung wurde vom BMBWF einerseits durch die Anerkennung der Kinder- und Jugenduniversitäten als voruniversitäre Einrichtungen der Nachwuchsförderung im Rahmen der Hochschulleistungsvereinbarungen unterstützt. Zum anderen fügt sich das Förderprogramm des BMBWF für Kinder- und Jugenduniversitäten ideal in den institutionellen Rahmen ein und setzt gezielt Impulse in strategischer und fachlicher Hinsicht. Seit 2017 stehen insgesamt 600.000 Euro an Fördermitteln pro Jahr zur Verfügung.

Was passiert an diesen Kinder- und Jugenduniversitäten? Die vielfältigen Projekte ermöglichen es Kindern und Jugendlichen im Alter von fünf bis 18 Jahren, die Welt der Wissenschaft und Forschung altersgerecht kennenzulernen und geben ihnen Impulse für ihre Ausbildungs- und Berufswahl. Jedes Jahr nehmen rund 40.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Vorlesungen, Camps, Workshops und Seminaren in den Hörsälen, Laboren und Seminarräumen der beteiligten Hochschulen teil.

Diese Fördermaßnahmen zielen insbesondere darauf ab, das Schulsystem sozial durchlässig zu machen. Eine wichtige Säule des Programms ist die Inklusion. Deshalb wird darauf geachtet, dass Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sowie Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf angesprochen werden. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Chancengleichheit gelegt. Um Ausgrenzung und Diskriminierung vorzubeugen, werden systematische Maßnahmen und Strategien gefördert, die das Entwicklungspotenzial aller Geschlechter fördern und Rollenstereotypen entgegenwirken. Neben den festen Angeboten an den größeren Hochschulstandorten werden zunehmend auch aufsuchende Angebote im ländlichen Raum angeboten. Diese sollen insbesondere Kinder und Jugendliche aus peripheren Regionen ansprechen.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie musste der Großteil dieser Programme 2020 in einem digitalen Format angeboten werden. Da die Entwicklung der Pandemie im Sommer jedoch Präsenzformate zuließ und gleichzeitig eine starke Nachfrage nach Ferienbetreuung für Kinder bestand, hat das BMBWF in Zusammenarbeit mit den Universitäten ein neues Format für wissenschaftliche Ferienbetreuung geschaffen: Science Holidays - Urlaub in der Welt der Wissenschaft. Die teilnehmenden Kinder konnten bei Spiel und Spaß in das Universitätsleben hineinschnuppern, ihre Fragen von ForscherInnen beantworten lassen und auf fantasievolle Weise in die Welt der Wissenschaft eintauchen. Aufgrund des Erfolges und der großen Nachfrage werden die Kinder- und Jugenduniversitäten künftig durch das Erweiterungsmodul der Ferienbetreuung mit wissenschaftlichem Anspruch in Österreich ergänzt. Neben den Kinder- und Jugenduniversitäten fördert das BMBWF seit Jahren auch Schnittstellenprogramme zur Vernetzung von Schulen und Universitäten.

Um langfristige Kooperationen zwischen Wissenschaft und Schule zu etablieren und die Vernetzungsaktivitäten zu stärken, hat das BMBWF im Jahr 2007 das Forschungsförderungsprogramm Sparkling Science ins Leben gerufen, das vom OeAD (Österreichische Agentur für internationale Zusammenarbeit in Bildung und Forschung) umgesetzt wird. Ziel war es, die strukturellen Barrieren zwischen dem Bildungs- und Wissenschaftssystem in Österreich abzubauen. Während der zwölfjährigen Laufzeit des Programms arbeiteten ForscherInnen Seite an Seite mit SchülerInnen an aktuellen wissenschaftlichen Fragestellungen. Mit einem Gesamtbudget von rund 35 Millionen Euro wurden insgesamt 299 hochwertige Forschungsprojekte gefördert, an denen mehr als 100.000 Kinder und Jugendliche, fast 2.600 (angehende) Lehrerinnen und Lehrer sowie rund 4.300 Forschende und Studierende beteiligt waren. Der hier angewandte Forschungsansatz wird auch als Citizen Science bezeichnet und erfreut sich in Österreich und weltweit zunehmender Beliebtheit.

Im Jahr 2015 setzte das BMBWF mit dem innovativen Format des Citizen Science Award - ebenfalls unter der Leitung des OeAD - einen weiteren Schritt in der Wissenschaftsbildung. Jedes Jahr, von April bis Anfang Juli, treten Schulklassen aus ganz Österreich beim Citizen Science Award an. Die besten von ihnen werden für ihr wissenschaftliches Engagement mit Geldpreisen ausgezeichnet. SchülerInnen können an ausgewählten Forschungsprojekten teilnehmen und WissenschaftlerInnen bei der Beantwortung spannender Forschungsfragen unterstützen. Wo leben Wildtiere in Wien? Wie ist die Wasserqualität der Flüsse in Österreich? Wie wird die Sprache in Österreich verwendet? Um Antworten auf diese und andere Fragen zu finden, müssen die TeilnehmerInnen Daten sammeln, Fragebögen ausfüllen und vieles mehr.

Eine weitere Initiative an der Schnittstelle zwischen Schule und Forschung ist das Förderprogramm Erstellung von digitalen Lehr- und Lernmaterialien mit Citizen Science-Methoden. Seit 2017 werden Lernmaterialien gemeinsam mit SchülerInnen und LehrerInnen systematisch an die Bedürfnisse der NutzerInnen angepasst, getestet und weiterentwickelt. Das Programm, das vom OeAD koordiniert wird, wurde von der Stiftung für Bildungsinnovation mit insgesamt 825.000 Euro dotiert. In 21 Projekten wurden Lernende, Lehrende und Interessierte direkt in die Erstellung von digitalen Unterrichtsmaterialien eingebunden. So entsteht ein systematischer Dialog zwischen Wissenschaft, Schule und Gesellschaft, der es ermöglicht, die Expertise und die Bedürfnisse der Nutzer in die Entwicklung der Materialien einfließen zu lassen. Die ersten Endprodukte dieses innovativen Programms wurden bereits während der COVID-19-Pandemie auf einer Lernplattform des BMBWF zur Verfügung gestellt.

Zusätzlich zu diesen erfolgreichen Programmen wird jedes Jahr ein großer österreichischer Schulwettbewerb für innovative Ideen durchgeführt. Jugend Innovativ wird im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Wirtschaft und des BMBWF durchgeführt. Mit dem Schwerpunkt Digitalisierung lobte die Stiftung für Bildungsinnovation 2018 und 2019 gemeinsam mit dem Austria Wirtschaftsservice und der OeAD einen Sonderpreis "Digitale Bildung" und zwei Publikumspreise aus. Insgesamt wurden in diesen beiden Jahren 869 innovative Projekte eingereicht. Die Tatsache, dass fast 3.000 Personen am Wettbewerb teilgenommen haben, zeigt die große Begeisterung junger Menschen für solche Initiativen in Österreich. Es war und ist Österreich ein großes Anliegen, Bildung und Forschung enger zu verzahnen und gemeinsame Potenziale zu nutzen. Die vielfältigen Initiativen des BMBWF, des OeAD und der Stiftung für Bildungsinnovation fördern kontinuierlich die Entwicklung, bringen junge Menschen so früh wie möglich mit Wissenschaft und Forschung in Kontakt und verankern naturwissenschaftliche Bildung nachhaltig in der Gesellschaft.

Beste Praxis: Sparkling Science Project "Das Ende der (meiner) Kindheit? Die Rettung der jüdischen Kinder aus Österreich 1938-41".

Schülerworkshop mit einem Überlebenden des Kindertransports.
© BMBWF/MERETHE AAGAARD JENSEN

Das Projekt nahm die historische Forschung über die Rettung von rund 2.800 jüdischen Kindern und Jugendlichen durch sogenannte Kindertransporte aus Österreich in den Jahren 1938-41 zum Ausgangspunkt, um der Frage nach Definitionen und Kriterien von Kindheit nachzugehen. In Workshops erhielten die Studierenden eine Einführung in die historische und sozialwissenschaftliche Forschung, in die Entwicklungspsychologie sowie in die Analyse autobiographischer Texte und in Methoden der Oral History. In Gesprächen mit ehemaligen Kindertransportkindern, in Workshops und bei einer Abschlusskonferenz konnten die Teilnehmer die erlernten Interview- und Präsentationstechniken in die Praxis umsetzen.

http://www.sparklingscience.at/en

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