Quantenforschung

Durch Zufall in die Zukunft

Das Hedy Lamarr Quantum Communication Telescope auf dem Dach des Quanteninstituts der Akademie in Wien.
Kein Zufall: In einer Welt, die zunehmend von Codes, Algorithmen, Regeln und vereinbarten Zielen geprägt ist, scheint die Unvorhersehbarkeit keine große Zukunft zu haben. Doch dieser Eindruck täuscht - der Zufall bereitet seinen nächsten Sieg vor, in der Quantenphysik-Forschung und wahrscheinlich bald auch im täglichen Leben. Quantenforscher der Österreichischen Akademie der Wissenschaften spielen dabei eine Schlüsselrolle.
© KLAUS PICHLER/AUSTRIAN ACADEMY OF SCIENCES

Der Zufall hatte schon vor über 100 Jahren eine Sternstunde. Um 1900 führte der Physiker Max Planck die Idee der Quanten ein. Quanten - Teilchen, die unendlich viele Zustände gleichzeitig annehmen und erst bei der Messung zufällig einem Zustand zugeordnet werden - erschienen von Anfang an ebenso umstritten wie vielversprechend.

Umstritten, denn selbst Denker wie Albert Einstein hatten Schwierigkeiten mit der Idee der Quanten und der in den 1920er Jahren entstandenen Quantenmechanik mit ihren vermeintlichen Paradoxien: "Gott würfelt nicht", sagte er einmal und versuchte, den Zufall in seine Schranken zu weisen. Und das war vielversprechend, denn genau das ist nicht passiert. "Eine der grundlegendsten Erkenntnisse der Quantenphysik ist, dass es reine Zufälle gibt", sagt der österreichische Quantenphysiker Anton Zeilinger. "Es gibt also einzelne Ereignisse, denen keine Ursache zugrunde liegt", so Zeilinger weiter, der seit 2013 auch Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist.

Schrödingers Katze ist aus Österreich

Was auf den ersten Blick ein gravierender Nachteil gegenüber der klassischen Physik mit ihrer Vorhersagbarkeit und Präzision zu sein scheint, eröffnete bald ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten in der Quantenphysik. Unter anderem mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsrechnungen konnte die Quantenmechanik nicht nur das allgemeine Verhalten von Teilchen auf überraschend zuverlässige statistische Weise vorhersagen, sondern auch unser Verständnis für das Verhalten kleinster Teilchen drastisch verbessern. Ohne die quantenphysikalische Revolution in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wären die technischen Errungenschaften der zweiten Hälfte, wie Laser, Supraleiter und Mobiltelefone, undenkbar gewesen.

Physiker aus Österreich waren schon früh an dieser Revolution beteiligt, darunter auch Einsteins Zeitgenosse Erwin Schrödinger, der Mitglied der Akademie war. Mit "Schrödingers Katze" - der Metapher einer in einer Kiste eingesperrten Katze, die gleichzeitig lebendig und tot ist, bis die Kiste geöffnet wird - schuf er das bis heute berühmteste quantenphysikalische Gedankenexperiment.

Die Quanten werden heimgesucht

Österreich und die Österreichische Akademie der Wissenschaften setzten diese Tradition am Ende des 20. Jahrhunderts mit stetig wachsendem Engagement fort. Dabei haben die Forscher um Anton Zeilinger große Fortschritte bei der Erforschung der sogenannten Quantenverschränkung gemacht. Dabei werden Teilchen mit einer zufälligen, aber identischen Schwingungsrichtung erzeugt und in verschiedene Richtungen geschickt. Die tatsächliche Richtung bleibt unbestimmt, bis sie an einem der beiden verschränkten Teilchen gemessen wird. Dann wird nicht nur der Zustand dieses Teilchens, sondern auch der des beliebig weit entfernten Partnerteilchens zufällig, aber identisch bestimmt - ein Phänomen, das Albert Einstein einmal als "spukhafte Fernwirkung" bezeichnet hat.

Forscher im Quantenlabor des Wiener Instituts der Akademie.
© KLAUS PICHLER/AUSTRIAN ACADEMY OF SCIENCES

Quantenverschränkt von der blauen Donau in den Weltraum

Ob Spuk oder Zufall, die österreichische Quantenphysik blieb am Ball und dehnte die Verschränkung zwischen gepaarten Teilchen über die Donau, später über die historische Wiener Innenstadt und schließlich sogar ins Weltall aus. 2003 festigte die Österreichische Akademie der Wissenschaften die Vitalität dieses Forschungsfeldes mit der Gründung des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation, das heute zwei Standorte hat, in Wien und Innsbruck. Schon bald zu einer der ersten Adressen in der internationalen Quantenforschung avanciert, haben die Wissenschaftler dort in mehreren Bereichen der Quantenphysik für Furore gesorgt, von radikal neuen Ansätzen zur Quanteninformationsverarbeitung durch das Team um Peter Zoller bis hin zu Francesca Ferlainos Experimenten mit ultrakalter Quantenmaterie.

Während in Wien unter anderem ein Weltrekord nach dem anderen in der Quantenverschränkung aufgestellt wurde, wurden in Innsbruck immer wieder Meilensteine in einem anderen Bereich der Quantenphysik erreicht: in der Forschung an Quantencomputern. Der Clou dabei: Während die kleinsten Recheneinheiten in herkömmlichen Computern entweder 0 oder 1 sind, können sogenannte Qubits in Quantencomputern eine Kombination aus beidem sein. Dadurch können Qubits mehrere Rechenprozesse parallel ausführen, was die Rechenkapazitäten eines Quantencomputersystems in eine andere Dimension bringt. Die Industrie hat dieses hohe technologische Potenzial längst erkannt und investiert weltweit Milliarden in die Erforschung von Quantencomputern.

Quantencomputer made in Austria

An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wird Grundlagenforschung gelebt und gleichzeitig die angewandte Forschung berücksichtigt. Im Bereich der Quantencomputer zeigt dies die Alpine Quantum Technologies (AQT), ein Spin-off der Akademie und der Universität Innsbruck. Ziel des Start-ups ist es, in den nächsten Jahren einen ersten, kommerziell nutzbaren Quantencomputer zu entwickeln.

Grundlage sind das Know-how und die technischen Meilensteine, die Quantenforscher unter anderem an der Akademie in den letzten Jahren auf diesem Gebiet erreicht haben. "Wir haben vielleicht nicht die Infrastruktur und das Geld, das große Konzerne haben. Aber wir haben sehr gute Leute und wir haben Ideen", sagt Rainer Blatt, Quantenphysiker an der Akademie und AQT-Mitbegründer. Die Quantenverschränkung hat auch die besten Chancen, die Karten unseres digitalen Zusammenlebens neu zu mischen: Die erste interkontinentale Quantenkommunikationsverbindung, die 2017 zwischen der Akademie in Wien und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking aufgebaut wurde, zeigte, dass die Verschränkung von Lichtteilchen mit Hilfe von umlaufenden Satelliten eine völlig abhörsichere Datenübertragung ermöglicht. Der zufällig generierte kryptographische Quantenschlüssel wurde an Sender und Empfänger eines Datenpakets übermittelt und gleichzeitig durch quantenphysikalische Gesetze gesichert - jeder Abhörversuch wäre sofort aufgeflogen. Mit diesem Proof of Concept wurde eine zentrale Grundlage für das Quanteninternet der Zukunft geschaffen.

Dass die Wissenschaft vieles dem Zufall überlässt, hätte Forscher in der Vergangenheit wahrscheinlich überrascht. Für die Quantenphysiker der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist dies jedoch ein fester Bestandteil ihrer Experimente und Studien. Und der Erfolg gibt ihnen Recht.

Quantenphysiker und Akademiepräsident Anton Zeilinger mit einem Modell des Satelliten "Micius" während des weltweit ersten interkontinentalen Quanten-Videoanrufs 2017.
© DANIEL HINTERRAMSKOGLER/AUSTRIAN ACADEMY OF SCIENCES

Frage und Antwort mit Anton Zeilinger, Pionier der Quantenphysik und Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Wie ist Österreich in der Quantenphysik international aufgestellt?
Was den Output betrifft, sind wir trotz unserer geringen Größe eines der am besten positionierten Länder der Welt.

Die Quantenphysik verspricht zahlreiche zukünftige Anwendungen - Stichwort: Quanteninternet. Warum ist es trotzdem wichtig, Grundlagenforschung zu betreiben?
Das wirklich Neue, das die Welt von morgen braucht, wird aus der Grundlagenforschung kommen, denn gute Grundlagenforschung ist allein von Neugier getrieben und stößt deshalb auf Dinge, an die noch niemand gedacht hat.

Was fasziniert Sie an der Quantenphysik?
Die Schönheit der Mathematik und die Tatsache, dass viele Erkenntnisse der Quantentheorie unserer Alltagserfahrung widersprechen.

Auf welche neuen wissenschaftlichen Entdeckungen sind Sie in letzter Zeit gestoßen?
Es ist uns gelungen, mehrdimensionale Quantenzustände zu teleportieren, wodurch künftige Quantencomputer höhere Informationskapazitäten als mit herkömmlichen Qubits haben werden.

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