Das Biozentrum Wien

Weltklasse Wissenschaft und Innovation Made in Austria

Da die Migration in die Vereinigten Staaten selbst für Studenten und Wissenschaftler immer schwieriger wird, ist es vielleicht an der Zeit, sich nach Möglichkeiten in der Alten Welt umzusehen. In Wien hat sich das dynamisch wachsende Vienna BioCenter zu einem der wichtigsten Zentren für biowissenschaftliche Forschung, Bildung und Wirtschaft in Europa entwickelt. Es war ein Projekt, dessen Erfolg unwahrscheinlich schien, aber es gab eine Vision und die Zeit war günstig.

Man schrieb das Jahr 1985, und Max Birnstiel war bereits ein weltberühmter Biochemiker und angesehener Wissenschaftler an der Universität Zürich. Nach einer internationalen Karriere hätte er sich darauf vorbereiten können, sich in seinem Heimatland niederzulassen; doch als die Unternehmen Boehringer Ingelheim und Genentech an ihn herantraten und ihm die Stiftung eines molekularbiologischen Forschungsinstituts anboten, ergriff Birnstiel die Gelegenheit. Mit unbegrenzter Freiheit und den Mitteln, einen Forschungshimmel zu schaffen, ließ er sich von den weltweit führenden Institutionen inspirieren, rekrutierte ein Dreamteam von Dozenten und zog in eine ehemalige Radiofabrik in einer benachteiligten Ecke des dritten Wiener Bezirks. Mit dem Geist eines Start-ups stieg das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) nicht nur zu einem der bedeutendsten Grundlagenforschungsinstitute Europas im Bereich der molekularen Biowissenschaften auf, sondern legte auch den Grundstein für das, was heute als Vienna BioCenter bekannt ist.

Spulen Sie ins Jahr 2020 vor. Das Vienna BioCenter ist heute eines der dynamischsten Life-Science-Zentren in Europa. 1.860 MitarbeiterInnen aus mehr als 80 Ländern sorgen dafür, dass dieser Cluster für Forschung, Wirtschaft und Bildung mit Leben erfüllt ist. Zum IMP gesellten sich drei weitere Grundlagenforschungsinstitute: die Max-Perutz-Labors der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien sowie das Institut für Molekulare Biotechnologie und das Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie, beide der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Mehr als 90 Forschungsgruppen erforschen hier grundlegende Phänomene der Molekularbiologie, die einzige institutsübergreifende Arbeitssprache ist Englisch. Drei Universitäten - die bereits erwähnten sowie die Fachhochschule - fördern Talente für die Durchbrüche von morgen. Vierunddreißig Biotech-Unternehmen haben Wien zu einem international bedeutenden Zentrum der biomedizinischen Industrie gemacht. Sie reichen von lokalen Niederlassungen internationaler Konzerne bis hin zu innovativen Start-ups, die oft aus den Forschungsinstituten ausgegliedert wurden.

Das Vienna BioCenter zeichnet sich durch eine bemerkenswert vielfältige Mischung von Akteuren aus, die eine Brücke zwischen neugiergetriebener Forschung und Anwendungen schlagen. Mit dem IMP als "Herz, Keimzelle und Aushängeschild" hat es das Gesicht von St. Marx verändert, das einst für seine Schlachthöfe und Industrie bekannt war und nun ein modernes Flair versprüht, das viele Studenten, Familien und junge Berufstätige anzieht. Das Vienna BioCenter ist ein Campus, der noch immer die Ideen von Max Birnstiel in sich trägt, aber längst über seine ursprüngliche Vision hinausgewachsen ist.

Es ist nicht nur die Größe des Campus, die beeindruckt, das Vienna BioCenter hat auch eine Marke für seine akademische Strenge entwickelt. Vierundfünfzig der hart umkämpften European Research Council (ERC) Grants wurden seit 2007 an ForscherInnen hier vergeben und brachten Millionen an Forschungsgeldern nach Wien. Drei Personen, die mit dem Vienna BioCenter in Verbindung stehen, sind Preisträger des Breakthrough Prize, des weltweit höchstdotierten Forschungspreises: Angelika Amon, Preisträgerin des Jahres 2019, war Anfang der 1990er Jahre Doktorandin am IMP. Später zog sie in die USA und wurde Kathleen und Curtis Marble Professorin für Krebsforschung am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge. Leider verlor Amon am 29. Oktober 2020 ihren persönlichen Kampf gegen den Krebs. Ihr Doktorvater, Kim Nasmyth, gehörte zu Birnstiels ersten Mitarbeitern und war sein Nachfolger als IMP-Direktor - er erhielt 2018 den Breakthrough Prize. Emmanuelle Charpentier war Gruppenleiterin in den Max Perutz Labs, wo sie die Abwehrmechanismen von Bakterien untersuchte. Ihre Entdeckungen bilden die Grundlage für die Entwicklung von CRISPR/Cas9, der "Genschere", die die Molekularbiologie seit 2011 revolutioniert hat und ihr 2015 den Breakthrough-Preis einbrachte.

Die Zukunft des Vienna BioCenter sieht rosig aus. Nächstes Jahr werden vier biologiebezogene Abteilungen der Universität Wien in ein neues Gebäude einziehen, wodurch der Campus um weitere 500 Mitarbeiter und 3.000 Studenten erweitert wird; eine Investition von 146 Millionen Euro. Ein im letzten Sommer gegründeter Startup-Inkubator füllt sich mit jungen, hoch innovativen Unternehmen. Der Campus hat längst die Qualität und die kritische Masse erreicht, um auf Augenhöhe mit anderen führenden Life-Science-Zentren zu spielen. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in den Ausbildungsmöglichkeiten wider: Das wettbewerbsfähige internationale Ph.D.-Programm wird durch eine Summer School und ein Postdoc-Ausbildungsprogramm ergänzt. Die voll finanzierten Möglichkeiten ziehen junge Talente aus der ganzen Welt an - und fließen in die globale Gemeinschaft herausragender Wissenschaftler zurück.

Hintergrundbericht:
Biowissenschaften in Wiens florierender akademischer Szene

Wien ist Österreichs wichtigstes Zentrum für Forschung und Ausbildung im Bereich der Biowissenschaften. Fünf Universitäten, zweiFachhochschulen und elf außeruniversitäre Forschungsinstitute sind in Wien in den Life Sciences tätig. Gemeinsam beschäftigen sie 12.620 MitarbeiterInnen in diesem Bereich, das sind 60 Prozent des bundesweiten Life-Science-Personals im akademischen Bereich. Mehr als 34.700 Studierende in lebenswissenschaftlichen Fächern absolvieren ihre Ausbildung in Wien, mehr als im gesamten restlichen Bundesgebiet zusammen. Die Forschungsergebnisse sind international konkurrenzfähig: Erst vor wenigen Wochen wurde Emmanuelle Charpentier für ihre Beiträge zur Entwicklung des Genome Editing Tools CRISPR/Cas9, der "Genschere", als Chemie-Nobelpreisträgerin 2020 bekannt gegeben.

Ein Großteil der zugrundeliegenden Arbeiten wurde in Charpentiers Labor an den Max Perutz Labs der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien zwischen 2002 und 2009 durchgeführt. Zusammen mit drei weiteren Forschungsinstituten und 34 Biotech-Unternehmen bilden die Max Perutz Labs das Vienna BioCenter (siehe Hauptartikel).

Grundlagenforschung trifft auf klinische Anwendungen durch Österreichs Gesundheitssektor von Weltrang und eine Reihe von Institutionen, die diesen unterstützen. Mit ihren 26 Universitätskliniken, zwei klinischen Instituten, zwölf Zentren für theoretische Medizin und zahlreichen hochspezialisierten Labors zählt die Medizinische Universität Wien zu den führenden medizinischen Forschungseinrichtungen Europas.

Auf ihrem Gelände betreibt die Universität gemeinsam mit der Stadt Wien das größte Krankenhaus Europas, das Allgemeine Krankenhaus Wien. Um höchste Standards in der medizinischen Ausbildung zu gewährleisten, soll im Jahr 2025 der neue MedUni Campus Mariannengasse eröffnet werden. Weitere starke Akteure der Wiener Life-Science-Szene sind die Universität für Bodenkultur (BOKU) mit einem breiten Forschungsportfolio, das auch die angewandte Biotechnologie umfasst, die Veterinärmedizinische Universität und die damit verbundenen Forschungseinrichtungen, das Zentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie private Universitäten und Krankenhäuser.

Gurgeln und innovative SARS-CoV-2-Nachweistechniken:
Vienna
BioCenter Grundlagenforschung wird auf den Kampf gegen COVID-19 ausgerichtet

Wie an vielen Arbeitsplätzen begann auch am Vienna BioCenter im Frühjahr eine Phase der Einschränkung des Forschungsbetriebs. Doch während das Personal in den Labors reduziert wurde, herrschte unter den Forschern ein reges Treiben.

"Jeder Einzelne von uns begann sich zu fragen, was wir tun können und wie wir zur Bekämpfung der Pandemie beitragen können", sagt Johannes Zuber, Senior Scientist am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP). Mit mehr als 90 Forschungsgruppen, einer hochmodernen Infrastruktur und dem gebündelten Know-how von Hunderten von Spitzenwissenschaftlern und -technikern ist das Vienna BioCenter ein natürlicher Nährboden für innovative Ideen, die normalerweise auf die Grundlagenforschung ausgerichtet sind. Könnten Expertise und Einrichtungen neu ausgerichtet werden, um sehr angewandte Probleme zu lösen?

Die Überwachung von Populationen ist eine große Herausforderung, so dass die Idee, Protokolle für den Nachweis von SARS-CoV-2 zu entwickeln und zu verbessern, nicht weit hergeholt war. Schon bald bildete sich ein Kernteam engagierter Forscher, das sich an die Verfolgung verschiedener Strategien machte. Mit einem spezialisierten molekularbiologischen Dienst und hochqualifiziertem Personal waren die Forschungsinstitute gut ausgestattet. Es standen Echtzeit-qPCR-Geräte zur Verfügung, die winzige Mengen von Virus-RNA vervielfältigen und nachweisen können. Frühe Protokolle der Charité in Berlin und der Universität Hongkong boten einen Ausgangspunkt, aber um hochempfindliche und spezifische Verfahren für den Nachweis von SARS-CoV-2 zu etablieren, mussten die Forscher viele Schritte des Prozesses optimieren und verfeinern. Dabei war es hilfreich, dass Wissenschaftler an der Universität Wien und an der Medizinischen Universität Wien ähnliche Ideen entwickelt hatten. Schnell fand man zueinander und Anfang April wurde die Vienna COVID-19 Detection Initiative (VCDI) als gemeinsame, institutionenübergreifende Anstrengung zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 gegründet.

Zu diesem Zeitpunkt schienen die größten Herausforderungen bei der Einrichtung einer auf der PCR-Methode basierenden Testpipeline überschaubar zu sein. Zusätzliche Hardware, die auf dem Weltmarkt sehr gefragt war, war auf dem Weg. Alternative Lieferanten für Reagenzien und Plastikgeräte waren gefunden. Um die Methode zu evaluieren, sollten freiwillige Mitarbeiter untersucht werden. Es war jedoch klar, dass Nasen-Rachen-Abstriche, die von medizinischem Personal entnommen wurden, keine praktikable Möglichkeit zur Probengewinnung darstellten.

"Wir haben uns hingesetzt und überlegt, wie wir sonst an den Ort kommen, an dem das Virus in unseren Körper gelangt - in den hinteren Teil des Rachens", erinnert sich Johannes Zuber. "Gurgeln war die naheliegende Wahl, und es war schon einmal gemacht worden." Eine Veröffentlichung aus Schottland (Bennet at al., 2017) hatte fast 7.000 Menschen mit Virusinfektionen getestet und vielversprechende Ergebnisse geliefert. Nachdem Zuber und seine Kollegen ein Rachenspülverfahren für den Nachweis von SARS-CoV-2 angepasst und optimiert hatten, taten sie sich mit klinischen Forschern um Manuela Födinger vom Wiener Gesundheitsverbund zusammen, um das Protokoll Seite an Seite mit Nasopharyngealabstrichen bei COVID-19-Patienten und gesunden Kontrollen zu validieren. Die Ergebnisse waren so überzeugend, dass die Selbstentnahme mit einer Gurgellösung die Methode der Wahl wurde.

Ab April meldeten sich die Mitarbeiter der Forschungseinrichtungen des Biozentrums Wien (IMP, IMBA, GMI und VBCF) anonym zur Teilnahme an den Nachweisscreenings. Die Probenahme durch Gurgeln anstelle von Nasenabstrichen wurde schnell von den Labors des Vienna BioCenter zu einem Instrument der öffentlichen Gesundheit. Seit dem Spätsommer ist das Gurgeln die Methode der Wahl an den beiden Wiener Drive-Through-Teststellen. Es wird auch in einer großen Test-Initiative für Wiener Schulen verwendet, nachdem eine Pilotstudie gezeigt hat, dass selbst junge Schüler diese Aufgabe meistern können. Die Analyse von Proben mittels RT-qPCR erfordert nach wie vor eine teure Infrastruktur und geschultes Personal. Deshalb arbeiteten andere Teams an alternativen Methoden zum Nachweis von SARS-CoV-2. Andrea Pauli (IMP) und Julius Brennecke (IMBA) entwickelten ein Verfahren, das auf einer Technologie namens RT-LAMP basiert. Sie benötigt nur ein Heizgerät und liefert Ergebnisse in Form eines einfachen Farbwechsels. Diese kostengünstige, schnelle und einfach zu handhabende Methode könnte für Routine-Screenings in Entwicklungsländern eine entscheidende Rolle spielen (Kellner et al., bioRxiv preprint).

In der Zwischenzeit haben Luisa Cochella (IMP) und Uli Elling (IMBA) ihr Fachwissen im Bereich der Sequenzierung der nächsten Generation (NGS) genutzt, um ein vollautomatisches Testverfahren zu entwickeln, das um mehrere Größenordnungen erweitert werden kann. Mit der notwendigen Logistik kann es bis zu 36 000 Patientenproben auf einmal verarbeiten. Darüber hinaus können mit dieser Methode eine Handvoll anderer Viren gleichzeitig nachgewiesen werden.

Alle drei Methoden haben sich als hochspezifisch und empfindlich erwiesen. Jede von ihnen kann spezifischen Anforderungen gerecht werden, von der Überwachung in Low-Tech-Umgebungen bis zum Nachweis von SARS-CoV-2 in sehr großen Populationen. Inzwischen sind alle drei Ansätze so weit, dass sie von Gesundheitsbehörden oder Unternehmen übernommen werden können, um einer breiteren Öffentlichkeit zu dienen.

Weitere Informationen:

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