Die Österreichische Gesellschaft für Studien

Sechzig Jahre mit Österreich und das österreichische Stipendium in Nordamerika

Von Michael Burri

Dr. Heinrich Drimmel (1912-1991) diente von 1954 bis 1964 als österreichischer Bundesminister für Unterricht. Er war maßgeblich an der Entstehung der österreichischen Kulturdiplomatie und schließlich an der Gründung der heutigen Österreichischen Studiengesellschaft beteiligt.
© ÖSTERREICHISCHE NATIONALBIBLIOTHEK

Im Jahr 2021 begeht die Österreichische Gesellschaft für Studien ihr 60-jähriges Bestehen. Solche Jubiläen bieten die Gelegenheit, eine Organisation einem neuen Publikum bekannt zu machen und sie einem alten Publikum wieder vorzustellen. In diesem Sinne ist die Austrian Studies Association (ASA) eine gemeinnützige Mitgliederorganisation, die "die Lehre und Forschung aller Disziplinen in ihrer Auseinandersetzung mit Österreich fördert und den vielfältigen historischen, multiethnischen und mehrsprachigen Charakter Österreichs, der ehemaligen habsburgischen Gebiete und ihrer Hinterlassenschaften anerkennt", wie es in ihrem Leitbild heißt.

Die ASA ist nicht an eine einzelne Universität gebunden und besteht in erster Linie aus Doktoranden, Forschern, Hochschullehrern und anderen Personen, die in Nordamerika und Europa ansässig sind. Das Flaggschiff der ASA ist das Journal of Austrian Studies, das von Todd Herzog und Hilary Hope Herzog herausgegeben wird. Die Zeitschrift stellt neue wissenschaftliche Erkenntnisse über Österreich zur Verfügung, vergibt jährlich einen Max-Kade-Aufsatzpreis und ist in vielen Universitätsbibliotheken vertreten. Die ASA ist Mitglied des American Council of Learned Societies und veranstaltet jedes Jahr eine große Konferenz. Die Konferenz im Juli 2021 ist dem Thema "Nationale und postnationale Perspektiven in / aus / zu Österreich" gewidmet und wird von der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań, Polen, ausgerichtet. Im Jahr 2022 wird die ASA-Konferenz mit freundlicher Unterstützung des Center Austria an der University of New Orleans nach New Orleans verlegt.

Jahrestage bieten aber auch die Gelegenheit, über die Vergangenheit nachzudenken, eine Bestandsaufnahme der Gegenwart zu machen und die Zukunft ehrlich einzuschätzen. Unter diesem Gesichtspunkt bietet die ASA eine faszinierende Fallstudie. Schließlich besteht die ASA als Organisation, deren Ursprünge bis 1961 zurückreichen, nur sechs Jahre weniger als das unabhängige Österreich der Zweiten Republik. Die Geschichte der ASA ist also eng mit der Geschichte der Zweiten Republik verwoben. In der Tat hat sich die ASA seit ihren Anfängen in der Kulturdiplomatie oft eng an der Agenda des österreichischen Staates orientiert, da die Anlehnung an österreichische Prioritäten die Organisation fokussiert und unterstützt hat. Und doch könnte man sagen, dass die ASA ihren größten Dienst an der Wissenschaft geleistet hat, als sie sich selbst außerhalb Österreichs betrachtete, und dass sie ihre größten Beiträge zur österreichischen Wissenschaft geleistet hat, als sie Themen in einer Weise verfolgte, die in Österreich (noch) nicht stattfinden konnte.

Gegründet als Internationale Arthur Schnitzler Forschungsgesellschaft (IASRA), verdankt die ASA ihre Anfänge der auswärtigen Kulturdiplomatie der späten 1950er Jahre. Diese Kulturdiplomatie, insbesondere in der Person von Unterrichtsminister Heinrich Drimmel, sah in der Literatur eine Visitenkarte Österreichs im Ausland. Bereits 1956 rekrutierte Drimmel die Grillparzer-Gesellschaft, um die österreichische Literatur im Inland und, wie es in der Geschichte der Gesellschaft heißt, "besonders im Ausland" zu fördern. So überrascht es nicht, dass im ersten IASRA-Bulletin von 1961 Victor Suchy von der Grillparzer-Gesellschaft zu den Gründungsmitgliedern zählt. Aber die IASRA-Gründer mobilisierten auch eine in Amerika ansässige Wählerschaft, die von der nationalen Politik der 1950er Jahre in Österreich noch nicht voll anerkannt war. Es handelte sich dabei um die große Gruppe österreichischer jüdischer Exilanten, die zusammen mit politischen Flüchtlingen während des Ständestaats und der Zeit des Nationalsozialismus aus Österreich vertrieben worden waren und nun im Ausland lebten.

In der Tat haben österreichische Exilanten und die stets individuellen Umstände ihres Exils IASRA von Anfang an geprägt. Im März 1938 hatte die Cambridge University Library Olga Schnitzler auf dramatische Weise geholfen, den posthumen literarischen Nachlass von Arthur Schnitzler aus Wien zu retten. Nach 1945 wurde die Familie Schnitzler in einen Rechtsstreit über das Eigentum an dem literarischen Nachlass verwickelt, der sich nun dauerhaft in Cambridge befand. Heinrich Schnitzler, der Sohn von Arthur Schnitzler, hatte sich eine Mikrofilmkopie aus Cambridge sichern können, deren 38 Rollen er an der Universität von Kentucky hinterlegt hatte. Sowohl er als auch seine Mutter, Olga Schnitzler, waren IASRA-Gründungsmitglieder und öffneten das Schnitzler-Archiv behutsam für Forscher. Dabei spielten die örtlichen Gegebenheiten eine Rolle. Mit IASRA, und nicht zum letzten Mal, hatten Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten Zugang zu wichtigen Quellen und Materialien, die in Österreich nicht verfügbar waren.

Der monografische Ansatz von IASRA sollte die Ereignisse von 1968 nicht überleben, obwohl die entscheidenden Ereignisse nicht in den von Studenten bevölkerten Straßen von Paris, sondern in Wien stattfanden. Hier hatte Unterrichtsminister Theodor Pfiffl-Perčević im März 1967 die österreichische Medien-, Kultur-, Parlaments- und sonstige Regierungselite dazu aufgerufen, "die österreichische Auslandsdiplomatie neu zu definieren". Während einer zweitägigen Live-Sitzung nahm sein Ministerium die Ratschläge von 30 Rednern und 12 schriftlichen Eingaben formell auf und reagierte darauf. Die Beiträge zu diesem Treffen wurden später in Buchform als " Culture Inquiry regarding the Goals and Means of the Foreign Cultural Diplomacy of Austria " (1968) veröffentlicht.

Eine frühe Folge des Treffens wurde von der Zeitschrift der Arthur Schnitzler Research Association registriert. Wie die letzte Ausgabe von 1967 ihren Lesern mitteilte, würde die IASRA ihren Fokus nun auf die österreichische Literatur im Allgemeinen ausweiten, und die Zeitschrift erhielt den neuen Namen Moderne Österreichische Literatur. Hatte die IASRA jedoch die Vorstellung zurückgewiesen, dass wichtige österreichische Wissenschaft nur in Österreich stattfinden könne, so gab die Moderne Österreichische Literatur ihre Autonomie an die Wiener Kulturpolitik ab. Pfiffl-Perčević selbst wurde sogar eine ganze Seite eingeräumt, um dem neu gegründeten "American Committee for the Study of Austrian Literature" den ministeriellen Segen zu erteilen. Mit den "Kulturellen Nachrichten aus Wien", einer Rubrik, die über die neue Theatersaison, die Höhepunkte der Wiener Festspiele und personelle Veränderungen in den örtlichen Kulturinstitutionen berichtete, zielten die ersten Ausgaben der Modernen Österreichischen Literatur darauf ab, die österreichische Hauptstadt wieder in den Mittelpunkt des Universums ihrer Leser zu stellen.

Unter den Namen, die im ersten IASRA-Mitgliederverzeichnis veröffentlicht wurden, befindet sich auch Donald Daviau, ein Fakultätsmitglied der Abteilung für Deutsch an der University of California-Riverside. Im Jahr 1971 löste Daviau Vincent LoCicero als Herausgeber der Modernen Österreichischen Literatur ab, ein Wechsel, der ein Zeichen für die verstärkte Beachtung von Wissenschaft und akademischer Konvention war. Zusammen mit Jorun Johns gründete Daviau 1988 den Verlag Ariadne Press, der sowohl wissenschaftliche Arbeiten als auch Übersetzungen veröffentlichte. Aber es waren vielleicht die jährlichen Konferenzen, die Daviau von 1971 bis 1999 in Riverside organisierte, die sein bedeutendstes Vermächtnis für die österreichische Wissenschaft in Nordamerika darstellen. Und hier spielten sowohl Daviau als auch der Veranstaltungsort eine entscheidende Rolle.

Erstens zogen die traditionellen lokalen Attraktionen - das Wetter, die Landschaft und das nahe gelegene Los Angeles - einen kontinuierlichen und wechselnden Strom von Gelehrten nach Riverside. Zweitens weckte Südkalifornien lokale Erinnerungen und Traditionen im Zusammenhang mit der deutschen und österreichischen Exilgemeinde, die sich in den 1930er und 1940er Jahren dort niedergelassen hatte. So wurden auf der Konferenz häufig noch lebende Zeitzeugen wie die Wiener Exilantin und New Yorkerin Helli Ultmann, die mit dem Wiener Kabarettisten und Politiker Jura Soyer (1913-1939 Buchenwald) verlobt war, in den Vordergrund gestellt. Daviau initiierte damit eine Diskussion über österreichische Exilschriftsteller und -literatur, als solche Themen in Österreich noch ein aufgeschlossenes Publikum suchten. Schließlich zog Südkalifornien Redner an, die über Österreich, Hollywood und den Film sprechen wollten. Und es war nicht nur die Vergangenheit. In den 1980er Jahren waren ikonische österreichische Regisseure wie Fred Zinnemann und Billy Wilder immer noch in Hollywood aktiv. Zusammen mit Modern Austrian Literature half Riverside somit, eine ältere Generation österreichischer Filmwissenschaftler in den USA mit einer neuen Generation von in Österreich tätigen Filmwissenschaftlern zu verbinden.

Sicherlich war die Wirkung des Unternehmens Riverside immer etwas eingeschränkt durch seinen Auftrag, sich auf die österreichische Literatur zu konzentrieren, ein Auftrag, der durch die Subventionen der österreichischen Regierung unterstützt wurde. Wenn das bedeutete, dass Carl Schorske und seine Thesen über das Wien des Finde-Siècle in Riverside nie den ersten Platz einnahmen, so sei es so. Rückblickend scheint das eine verpasste Chance zu sein. Obwohl heute, um eine Formulierung von Steven Beller zu gebrauchen, ein "Ex-Thema", bleibt Schorskes "Fin-desiècle Vienna" sowohl ein unverwechselbarer nordamerikanischer Beitrag als auch die wichtigste Rubrik in der Österreich-Forschung. Egon Schwarz, eine der führenden Persönlichkeiten der amerikanischen Germanistik und einer der Hauptverantwortlichen für die Hinwendung der Germanistik zu den Besonderheiten der österreichischen Literatur nach 1970, war nie ein regelmäßiger Besucher in Riverside. Was Schwarz, der 1938 aus Wien vertrieben worden war, in seinen Literaturansatz einbrachte, war eine direkte Bestätigung der jüdischen Quellen vieler österreichischer Schriften, ein Thema, das von anderen österreichisch-jüdischen Emigranten meist vermieden wurde. Es sei erwähnt, dass die IASRA in ihren Gründungsdokumenten nie erwähnt hat, dass Schnitzler Jude war. Auf der berühmten Riverside-Konferenz über Exilliteratur 1980 las Schwarz aus seiner Autobiographie. Häufiger waren es jedoch seine Doktoranden und ehemaligen Doktoranden der Washington University, die sowohl sein Beharren darauf, dass die Besonderheit der jüdischen Erfahrung für die österreichische Literatur von Bedeutung sei, als auch seine unverblümte Konfrontation mit den historischen Fakten des Antisemitismus weiterführten.

Das Ende des Kalten Krieges und die Wiederbelebung der nationalen Geschichte der ehemaligen Ostblockländer nach 1989 stellten die Gruppe der Modernen Österreichischen Literatur vor neue Herausforderungen. Für Österreich hatte die Dringlichkeit, um die amerikanische Aufmerksamkeit zu konkurrieren, abgenommen. Gleichzeitig verschwanden die Personen, die Riverside zum Aufblühen verholfen hatten, ebenso wie die österreichischen Subventionen. Im Jahr 1999 gab Donald Daviau seine redaktionellen Aufgaben auf und organisierte seine letzte Riverside-Konferenz. Die Subventionen der österreichischen Regierung, die als Katalysator für eine tiefgreifende Veränderung der Wissenschaft über Österreich gedient hatten, erwiesen sich als ebenso schwer zu ersetzen und erteilten der neuen Organisationsleitung eine scharfe Lektion in ausländischer Kulturdiplomatie. Im Jahr 2000 versuchte diese Führung, die Organisation, die offiziell immer noch unter dem Namen IASRA firmierte, in die Modern Austrian Literature and Culture Association (MALCA) umzugestalten. Doch die nationale Literaturagenda hatte nicht mehr denselben Stellenwert wie früher. Auf institutioneller Ebene wurden die Budgets für Deutsch- und andere Fremdsprachenabteilungen gekürzt. Außerdem hatten neue professionelle Modelle der Interdisziplinarität in den 1990er Jahren, insbesondere die German Studies Association, einen vielversprechenden Weg in die Zukunft aufgezeigt.

2011 stimmten die MALCA-Mitglieder für eine Umbenennung ihrer Organisation in Austrian Studies Association, wobei die Moderne Österreichische Literatur nun in Journal of Austrian Studies umbenannt wurde. Heute kennt die ASA ihre Zukunft nicht - wie könnte sie auch? Aber die Organisation ist entschlossen, ihre eigene Geschichte zu schreiben und sich dabei auf ihre Vergangenheit zu stützen, um die kommenden Herausforderungen zu meistern. Eine dieser Herausforderungen wird darin bestehen, ihren Auftrag zu erfüllen, "den vielfältigen historischen, multiethnischen und mehrsprachigen Charakter Österreichs, der ehemaligen habsburgischen Gebiete und ihrer Hinterlassenschaften anzuerkennen". Dies wird keine leichte Aufgabe in einem heutigen Mitteleuropa sein, in dem stark nationalistisch geprägte Narrative vorherrschen, auch wenn eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern, die sich mit der gemeinsamen multiethnischen und multinationalen Vergangenheit befassen, einen Wandel am Horizont vermuten lässt.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, überzeugende Wege zu finden, um mit den heutigen amerikanischen Studenten und Doktoranden über Österreich zu sprechen. Es sind die Studierenden und die Themen, die sie bewegen, die die Zukunft der Austrian Studies ausmachen. Schließlich muss sich die ASA die finanzielle Unterstützung sichern, die sie braucht, um intellektuell zu florieren, und gleichzeitig wachsam bleiben, um nicht als Teil der Wiener Kulturpolitik gesehen zu werden.

Die Bowling Green State University in Ohio war Gastgeber der Jahrestagung 2019 der Austrian Studies Association.
© BOWLING GREEN STATE UNIVERSITY

Die Österreichische Gesellschaft für Studien teilt eine sechzigjährige Geschichte mit der Zweiten Republik Österreich. Für die Gründer unserer Organisation wäre der Wandel in der Österreichforschung, den diese sechzig Jahre gebracht haben, unvorstellbar gewesen. Doch die Gründer erkannten, dass die nachhaltigsten nordamerikanischen Beiträge zur Österreich-Forschung aus einer intellektuellen Haltung heraus entstanden, die den Wert einer kritischen Distanz anerkennt. Das heißt, ihre Vision nahm eine zukünftige nordamerikanische Agenda für Österreichstudien vorweg, und im Jahr 2021 wird diese Vision die Austrian Studies Association weiterhin leiten.

Man könnte sagen, dass diese nordamerikanische Agenda heute gut ankommt - sogar in Österreich. Im Jahr 2010 hat die Universität Wien den Masterstudiengang "Austrian Studies" eingeführt. Mit mehr als 150 eingeschriebenen Studenten lesen sich die Anforderungen der Austrian Studies wie eine Ausarbeitung des ASA-Leitbilds. Die Studierenden sollen "österreichische Literatur, Sprache und Kultur im europäischen Kontext kennen; die Fähigkeit zur kritischen Reflexion imaginärer Mythenkonstruktionen, historischer Identitätskonstruktionen, politischer und publizistischer Diskursivierungen des 'Nationalen'; und Grundkenntnisse in mindestens einer weiteren mittel- oder osteuropäischen Sprache und Kultur vermitteln."

Michael Burri, Ph.D.ist Dozent für Deutsch am Bryn Mawr College und Präsident der Austrian Studies Association.

Weitere Informationen:
Österreichische Gesellschaft für Studien:
http://www.austrian-studies.org/

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